Ausgrabung 2003 (Foto: Nikolaus Heiss)
Erinnerungsort (Foto: Nikolaus Heiss)
Eingang zum Erinnerungsort Synagoge (Foto: Nikolaus Heiss)
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Darmstadt, Stadt
Darmstadt
Mollerstadt
  • Bleichstraße 19
Reste der ehemaligen Liberalen Synagoge
Flur: 4
Flurstück: 48/23

Fundamentreste der ehem. Liberalen Synagoge von 1873 bis 1876. Architekten Eduard Köhler und Stephan Braden. Zerstört in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938. Ausgebaut 2008 zum Erinnerungsort.

Anfang Oktober 2003 tauchten bei Aushubarbeiten an der Baustelle des Klinikums Darmstadt in der Innenstadt Mauerreste und Bauteile der ehemaligen liberalen Synagoge von 1876 auf. Nach Baustopp wurden bei der systematischen Grabung sämtliche Überreste des historischen Bauwerks freigelegt. Es handelte sich dabei um Kellerwände unterhalb des Vorleseraums, eines Eckturms und der Thoranische sowie hineingestürzte Bauteile des oberirdischen Bauwerks. Auftretende Befunde wurden präpariert und dokumentiert, Fundstücke geborgen und katalogisiert. Die folgenden restauratorischen Untersuchungen schufen die Grundlagen für die umfangreichen Konservierungsarbeiten. Neben den Erhaltungsmaßnahmen am Mauerwerk war eine besondere Herausforderung die Konservierung des „Schutthaufens“, einem etwa zwei Quadratmeter großen Ort innerhalb der Ruine, an dem sich bauliche Reste der eingestürzten Synagoge, wie Fußbodenplatten, Dachschiefer, Stahlträger und verkohltes Holz erhalten haben. Dieser Ort in der Nähe der Thoranische, der bei der Freilegung noch Brandgeruch verströmte, ist von besonderer symbolischer Bedeutung, denn hier dokumentiert sich auf besonders eindringliche Weise die Zerstörung der Synagoge in der Reichspogromnacht 9./10. November 1938.

Die Baugeschichte

Die ehemalige Liberale Synagoge wurde in den Jahren 1873 bis 1876 nach Plänen des Kreisbaumeisters Eduard Köhler und des späteren Stadtbaumeisters Stephan Braden erbaut. Der dreischiffige zweigeschossige Synagogenraum mit den äußeren Abmessungen von 33 mal 24 Metern enthielt im Erdgeschoss die Männersitze, im Norden die Eingangshalle und im Süden die Thoranische. Das Obergeschoss mit zwei Emporen bot Platz für die Frauengalerien, die Orgel und das Orchester. Das einzige erhaltene Innenraum-Schwarz-Weiß-Foto auf einer Postkarte lässt auf eine ursprünglich reiche Innenausstattung schließen. Dies belegen einige teilvergoldete Fundstücke, die aber auch Schmuckelemente der Fassade gewesen sein können. Das Äußere der Synagoge bestand wohl hauptsächlich aus rotem Sandstein und wies im Wesentlichen eine neoromanische Fassadengliederung auf. Dominierendes Architekturelement waren die vier achteckigen Ecktürme, die dem rechteckigen Synagogenbau seine bedeutende auch in die Ferne strahlende Wirkung im Stadtbild verliehen. Die Verwendung von romanischen und frühgotischen Bauelementen sowie Anklänge an maurische Architektur gaben dem Bau seinen eigenwilligen und eigenständigen Charakter. Dennoch war die eklektizistische Architektur ein typisches Kind ihrer Zeit, des späten Historismus, der in der Verwendung verschiedener Stilausprägungen an einem Gebäude seine manieristische Ausprägung findet und als Eklektizismus bezeichnet wird.

Bedeutung der Funde für die Denkmalpflege

Die nun bekannten Überreste der ehemaligen liberalen Synagoge von 1876 sind Kulturdenkmal im Sinne des § 2 Absatz 1 Hessisches Denkmalschutzgesetz. An ihrer Erhaltung besteht aus verschiedenen geschichtlichen Gründen ein öffentliches Interesse. Der bauhistorische und baukünstlerische Aspekt spielt für den Schutz eine untergeordnete Rolle, weil der Bau weitgehend untergegangen und künstlerischer Bauschmuck nur noch fragmentarisch erhalten ist. Wichtig ist die symbolische Bedeutung der Ruine für die Politik-, Sozial- und Gesellschafts- und Religionsgeschichte Darmstadts. Sie steht für die Zerstörung der Synagogen Deutschlands in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 durch die Nationalsozialisten; sie steht auch für die Verantwortung der Bevölkerung, die mehrheitlich die Judenverfolgung hinnahm und tatenlos zusah, wie deren Gotteshäuser niedergebrannt wurden. Dieses Ereignis dokumentiert sich eindrucksvoll innerhalb der Fundstätte auf einer kleinen etwa zwei auf zwei Meter großen Fläche in der Nähe der ehemaligen Thoranische. Hier liegt ein Teil des Erdgeschossfußbodens mit schwarzen und weißen Bodenfliesen, überdeckt mit  herabgestürztem verbrannten Holz, verbogenen Stahlträgern und Schieferplatten. Ein weiterer gewichtiger Gesichtspunkt der für die Bedeutung des Fundes spricht, ist die Tatsache, dass nach jüdischer Auffassung die Überreste der Synagoge bis zum letzten Stein heilig sind, weil sie nicht von den Juden selbst durch Herausnahme des ewigen Lichtes und der Thorarollen entweiht wurde, sondern weil sie ihnen mit Gewalt genommen wurde. Generell gilt in der Denkmalpflege aber auch der Seltensheitswert als Schutzkriterium. Dies trifft bei der ehemaligen liberalen Synagoge zu, weil sie die Verwüstung der Reichspogromnacht zumindest teilweise überstanden hat.

Der Erinnerungsort

Aus allen vorgenannten Gründen wurden die Überreste der Synagoge zu einem Erinnerungsort ausgebaut, der eine dunkle Epoche der Darmstädter Geschichte vor Augen führt. Hauptteil der Gedenkstätte ist die offene Erde, die wie eine offene Wunde vor uns liegt und in ihr die Ruine, in der die Reichspogromnacht der Nazis dauerhaft in Erinnerung gehalten wird.

Mit der Erhaltung der Überreste der liberalen Synagoge und ihrer didaktisch-künstlerischen Präsentation durch Ritula Fränkel und Nicolas Morris innerhalb des Klinikums hat Darmstadt eine Gedenkstätte geschaffen, die in Ihrer Eindringlichkeit möglicherweise einzigartig in Deutschland ist. In ihr ist die Erinnerung an die Reichspogromnacht und den Beginn des Holocaust von höchster Authentizität.


Als Kulturdenkmal nach § 2 Absatz 1 Hessisches Denkmalschutzgesetz aus geschichtlichen und wissenschaftlichen Gründen in das Denkmalverzeichnis des Landes Hessen eingetragen.

Legende:

Kulturdenkmal nach § 2 Abs. 1 HDSchG
Kulturdenkmal (Gesamtanlage) nach § 2 Abs. 3 HDSchG
Kulturdenkmal (Grünfläche) nach §2 Abs. 1 oder § 2 Abs. 3 HDSchG
Kulturdenkmal (Wasserfläche) nach §2 Abs. 1 oder § 2 Abs. 3 HDSchG
Weitere Symbole für Kulturdenkmäler nach § 2 Abs. 1 HDSchG:
Wege-, Flur- und Friedhofskreuz, Grabstein
Jüdischer Friedhof
Kleindenkmal, Bildstock
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