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Werra-Meißner-Kreis
Hessisch Lichtenau
Hirschhagen
  • Sachgesamtheit Munitionsfabrik

1936 wurde von der Dynamit-Aktien-Gesellschaft im Zuge des kriegsvorbereitenden Vierjahresplanes mit dem Bau von Produktionsanlagen einer Munitionsfabrik in einem bewaldeten Terrain nahe Hessisch Lichtenau unter der Bezeichnung „Fabrik Hessisch Lichtenau der Gesellschaft zur Verwertung chemischer Erzeugnisse m.b.H." begonnen. Nach der Fertigstellung mit einem Aufwand von mehr als 100 Millionen Reichsmark und Abnahme durch das Oberkommando des Heeres (OKH) wurden die einzelnen Bauabschnitte der Eigentümerin und Bauherrin, der Montan Industriewerke GmbH, übergeben. Im November 1938 lief die Produktion im Auftrag des OKH an.

Für die Ansiedlung einer Munitionsfabrik in Hirschhagen waren folgende Standortbedingungen ausschlaggebend:

- es bestanden günstige infrastrukturelle Voraussetzungen

- es lag keine Großstadt in unmittelbarer Nähe

- dichtes Mischwaldgebiet bot die Möglichkeit wirksamer Tarnung

- problemlose Energieversorgung war durch nahe Braunkohlebergwerke gewährleistet

- ein Reservoir an Arbeitskräften im strukturschwachen Raum war vorhanden

Das von den Produktionsstätten besiedelte Areal umfasste ein Gebiet von insgesamt 233 ha, auf dem in 399 Gebäuden ca. 6000 Menschen beschäftigt waren. Das Werk wurde von einem dichtmaschigen Straßennetz durchzogen, verfügte über einen eigenen Bahnanschluss und eine Seilbahn zur Zeche Hirschberg.

Die standardisierten Produktionsgebäude wurden bis auf die wenigen Ausnahmen, Gieß-, Kessel- Spaltgebäude, als eingeschossige Stahlbeton- oder Stahlbetonrahmenbauten erbaut. Die abschließenden Flachdächer mit ihren ausgezackten Rändern und ihrer immergrünen Bepflanzung sicherten die Tarnung gegen Luftaufklärung. Außenwände der häufig mit Erdanschüttungen versehenen Bunkergebäude waren grobflächig durchbrochen, um die Druckwellen etwaiger Explosionen ungehindert nach außen dringen zu lassen, ohne die Bauten zu beschädigen.

Hergestellt und abgefüllt wurden im Munitionswerk Hirschhagen Trinitrotuluol (TNT) und Trinitrophenol (Pikrin). TNT wurde in flüssigem Zustand in eigenen Abfüllstationen in Bomben, Granaten und Minen abgefüllt. Pikrin wurde gepresst und diente als Treibmittel für Geschosse.

Im Geschäftsjahr 1938/39 wurden 5.479 Tonnen TNT hergestellt. Nach Wende des Kriegsverlaufes im Winter 1941/42 wurden im Geschäftsjahr 1942/43 29.170 Tonnen TNT ausgestoßen; d.h. am Tag etwa 80 Tonnen Sprengstoff. Pikrin wurden im Jahr 1939/40 insgesamt 156 Tonnen hergestellt; 1944/45 wurden 2.074 Tonnen ausgestoßen.

Mit diesen Produktionsmengen war Hirschhagen eine der bedeutendsten Sprengstofflieferanten des „Dritten Reiches".

Das Kontingent der Arbeiter/Innen rekrutierte sich zu Beginn der Produktion aus Freiwilligen und Dienstverpflichteten, die vornehmlich aus der Region stammten. Später kamen mit zunehmender Kriegsdauer Gefangene, Zwangsarbeiter sowie KZ-Häftlinge als Arbeitskräfte hinzu.

Die auswärtigen bzw. zwangsrekrutierten Beschäftigten wurden in insgesamt neun Lagern rund um Hessisch Lichtenau untergebracht; das Lager Vereinshaus diente seit dem Sommer 1944 als Außenlager des KZ Buchenwald.,

Bei Explosionen im Werk fanden 200 Menschen den Tod. Viele litten durch den ständigen Umgang mit den gefährlichen Chemikalien, die ohne ausreichende Schutzkleidung und unter mangelnden Sicherheitsbestimmungen verarbeitet wurden, an gesundheitlichen Nachfolgeschäden.

Nach dem Krieg wurden im Rahmen der Entmilitarisierung insgesamt 148 Gebäude auf dem Werksgelände zerstört. Gesprengt wurden alle Sprengstofflager, Pressengebäude und nahezu alle Bauten, die der Herstellung und Abfüllung von Sprengstoffen dienten.

Wenig später schon begann die Neubesiedlung des Geländes durch standortsuchende Unternehmer. Sie fanden mehr als 200 funktionstüchtige Gebäude vor, die an einen günstigen Verkehrsanschluss angebunden waren. Die vorerst zaghafte Besiedlung beschleunigte sich in den folgenden Jahrzehnten. 1968 waren 60 Gebäude mit Industriebetrieben belegt, 33 nutzte man als Wohnhäuser.

Große Umweltprobleme stellen heute die sog. Rüstungsaltlasten in Hirschhagen dar. Und zwar handelt es sich um Schadstoffe, die sowohl während der Sprengstoffproduktion im „lll. Reich" als auch in der Nachkriegszeit noch über einen langen Zeitraum ungehindert ins Erdreich drangen.

Das Landesamt für Denkmalpflege Hessen wählte einige wenige Gebäude des ehemaligen Sprengstoffwerkes aus und stellte sie im Sinne des § 2 HD SchG i. d.F. vom 5.9.1986 als schützenswerte Sachgesamtheit unter konservatorische Obhut. Ausschlaggebend für die Auswahl war der hohe dokumentarische Wert der Bauten. Das trifft für die kaum veränderten Gebäude ebenso zu wie für die Ruinen. An ersteren lassen sich typische Produktionsabläufe, wie etwa die Herstellung und Verpackung von Sprengstoff schildern. Daneben ist etwa das Verwaltungs- oder Wachgebäude bauliches Zeugnis der Unterdrückung eines verbrecherischen Regimes. Die schützenswerten Ruinen - gesprengte Bunker, Stahlbetonskelette, in denen einst große Säurekessel hingen oder leer stehende Großgebäude, in denen Säure unter gefährlichsten Bedingungen aufbereitet wurde - haben inmitten des Waldes eine starke emotionelle Wirkung auf den Betrachter. Hier arbeiteten während der Nazizeit Zwangsarbeiter mit Substanzen, vor deren aggressiven Wirkstoffen sie kaum geschützt waren. Erhaltenswert ist auch die Verladerampe in unmittelbarer Nähe des Werkzuganges. Hier tauchen unvermittelt Bilder von dem KZ Auschwitz auf, wo an einer ähnlichen Rampe "selektiert" wurde.

Verwaltung

Die Verwaltung des Werkes befand sich im südlichen Bereich des mit Stacheldrahtzaun abgegrenzten Terrains. Es besteht aus dem dreiflügligen, zweigeschossigen Verwaltungshaus und dem gegenüber befindlichen Wachgebäude.

Zur Verwaltung gehören:

Dieselstraße 6

Verwaltungsgebäude

Flur 26, Flurstück 109/1

Dieselstraße 1

Wache

Flur 26, Flurstück 70/1

(siehe Einzelnachweise)

Logistik

Die der Versorgung dienenden Gebäude, die im Sinne des § 2 HDSchG schützenswert sind, wurden unter dem Oberbegriff „Logistik" zusammengestellt. Die Funktion der ausgewählten Bauten ist auf Grund des recht unveränderten Äußeren heute noch nachvollziehbar. Bis auf den Kohlenhochbunker, die größte Baulichkeit der Sachgesamtheit Munitionsfabrik, die sich außerhalb der Siedlung an der Straße von Friedrichsbrück nach Helsa befindet, sind alle anderen Gebäude im ehemaligen Werksbereich angesiedelt. Sie sind Zeugen der Versorgung der Fabrik und deren Arbeiter.

Zur Logistik gehören:

Ohne Ortsangabe

Wasserwerk

Flur 26, Flurstück 113/5

Lilienthalstraße 2

Kantine

Flur 26, Flurstück 101/4

Dieselstraße 3

Elektrokarrengebäude/Verladerampe

Flur 26, Flurstück 76/39

Lilienthalstraße o. Nr.

Feuerwache

Flur 26, Flurstück 96/7

Daimlerstraße 4

Wohlfahrtsgebäude

Flur 26, Flurstück 86/1

Außerhalb Ortslage

Kohlenhochbunker

Flur 26, Flurstück 130/8

(siehe Einzelnachweise)

Pikrinproduktion

Im westlichen Bereich des Fabrikgeländes befand sich der Produktionsbereich, der für die Verpressung der Pikrinsäure und deren Abnahme/Verpackung verantwortlich war. Als denkmalpflegerisch schützenswert ist die Ruine eines ehemaligen Pressengebäudes sowie ein großvolumiges Fertigmachungsgebäude anzusprechen. In verschiedenen Arbeitsgängen wurde die Pikrinsäure gekocht, gewaschen, getrocknet, und granuliert. Das Granulat wurde in Hülsen abgefüllt und unter einem Druck von 100 - 120 atü gepresst. Bei diesem Vorgang kam es häufig zu Selbstzündungen.

Fast jedem Pressengebäude war ein Fertigmachungsgebäude zugeordnet, in dem der gepresste Sprengstoff für den Versand vorbereitet wurde.

Zur Pikrinproduktion gehören:

Daimlerstraße o. Nr.

Pressengebäude

Flur 26, Flurstück 1/36

Daimlerstraße 43

Fertigmachungsgebäude

Flur 26, Flurstück 1/32

(siehe Einzelnachweise)

TNT-Abfüllung

Im Werk Hessisch Lichtenau/Hirschhagen wurde hauptsächlich TNT hergestellt. Der Produktionsbereich befand sich etwa im Zentrum des Werksgeländes und gliederte sich in die Bereiche Herstellung und Abfüllung. Der Sprengstoff TNT wird aus Toluol und Schwefelsäure in mehreren Arbeitsschritten gewonnen. Um die Bomben mit dem heißen, flüssigen Sprengstoff zu füllen - es handelte sich in der Regel um 250-kg Granaten - mussten deren Hüllen eine mehrteilige Vorbereitung durchlaufen. Aus einem Hüllenlager gelangten die Rohlinge in ein Vorbereitungsgebäude, wo sie ausgepackt und auseinander geschraubt wurden. Über einen Heißluftkanal, in dem sie auf die Temperatur des flüssigen TNT gebracht wurden, gelangten die Hüllen in das Gießhaus, wo man sie mit dem heißen Sprengstoff füllte. Über einen Kühlkanal wurden sie in ein Fertigmachungsgebäude verbracht, wo die Bomben versiegelt, die Bombenköpfe und Bombenschwänze angeschraubt wurden. Die ausgewählten Gebäude sind ablesbare Zeugnisse für eine Arbeit, die fast ausnahmslos von Frauen durchgeführt wurde und wegen der ständigen Explosionsgefahr zu den gefährlichsten Tätigkeiten im Werk gehörte.

Zur TNT-Abfüllung gehören:

Gutenbergstraße 9

Hüllenlager

Flur 26, Flurstück 64/12

Gutenbergstraße 6

Vorbereitung, Heißluftkanal, Fertigmachung

Flur 26, Flurstück 57/1

(siehe Einzelnachweise)

Säureverarbeitung

Bei der Sprengstoffherstellung wurden anfallende Säurereste zur nochmaligen Verwendung chemisch aufbereitet. Für diesen Produktionsablauf waren verschiedene Lagerhäuser mit großen Kesseln, Spalt- und Denitrierungsgebäude notwendig. Diese häufig als Ruinen erhaltenen Gebäude vergegenwärtigen in eindrucksvoller Art und Weise die Menschen verachtenden Arbeitsverhältnisse im Werk. Sie assoziieren in besonders eindringlicher Form die begangenen Verbrechen und sollten als mahnende Relikte erhalten bleiben.

Zur Säureverarbeitung gehören:

Daimlerstraße 16

Salpetersäurelager

Flur 26, Flurstück 35/13

Daimlerstraße o. Nr. (16A)

Denitrierung

Flur 26, Flurstück 35/13

Daimlerstraße o. Nr. (16B)

Waschhaus

Flur 26, Flurstück 35/13

Daimlerstraße o. Nr. (16C)

Salpetersäurelager

Flur 26, Flurstück 35/13

Einsteinstraße 14

Denitrierung

Flur 26, Flurstück 23/3

Keplerstraße 1/3

Abfallsäurelager

Flur 26, Flurstück 41/19, 41/20

Lilienthalstraße 87/91/93

Spaltgebäude

Flur 26, Flurstück 118/22, 124/1

Ohne Ortsangabe

Denitrierung

Flur 26, Flurstück 2/4

(siehe Einzelnachweise)


Als Gesamtanlage nach § 2 Absatz 3 Hessisches Denkmalschutzgesetz aus geschichtlichen Gründen in das Denkmalverzeichnis des Landes Hessen eingetragen.

Legende:

Kulturdenkmal nach § 2 Abs. 1 HDSchG
Kulturdenkmal (Gesamtanlage) nach § 2 Abs. 3 HDSchG
Kulturdenkmal (Grünfläche) nach §2 Abs. 1 oder § 2 Abs. 3 HDSchG
Kulturdenkmal (Wasserfläche) nach §2 Abs. 1 oder § 2 Abs. 3 HDSchG
Weitere Symbole für Kulturdenkmäler nach § 2 Abs. 1 HDSchG:
Wege-, Flur- und Friedhofskreuz, Grabstein
Jüdischer Friedhof
Kleindenkmal, Bildstock
Grenzstein
Keller bzw. unterirdisches Objekt
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