Inneres der Friedhofskapelle, histor. Aufnahme
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Gießen, Stadt und Landkreis
Gießen
  • Friedhofsallee 43
  • Friedhofsallee
Sachgesamtheit Neuer Friedhof
Flur: 22
Flurstück: 126, 127, 128/19, 128/2, 128/3, 128/4, 128/5, 128/6, 128/9

Die Sachgesamtheit Neuer Friedhof liegt am Nordende der Stadt, weit außerhalb der gründerzeitlichen Bebauung auf dem 188 m hohen Rodtberg. Eine spitzwinklig von der Marburger Straße abgehende, früher mit Ulmen bestandene Stichstraße, die Friedhofsallee, führt geradewegs zum Hauptportal des Friedhofes.

Da der Alte Friedhof aufgrund der gestiegenen Bevölkerungszahlen nicht mehr ausreichte, plante man ab der Jahrhundertwende einen neuen Friedhof. Er wurde nach Plänen des Stadtbaumeisters Schmandt ausgeführt und am 1. Juli 1903 eröffnet. Man wählte ein bis dahin unbebautes, von Sandgruben durchzogenes Gelände zwischen der Main-Weser-Bahn und der damals neuen Marburger Straße. Ganz in der Nähe lag an einem Verbindungsweg zwischen der alten Kasselischen Straße und der heutigen Marburger Straße eine alte Richtstätte, das Hochgericht mit dem Galgen.

Beschreibung

Kern und zentraler Bezugspunkt der Friedhofsanlage ist ein symmetrisch gestalteter, historisierender Gebäudekomplex am Eingang des Friedhofes. Er besteht aus der Friedhofskapelle, einem quadratischen Vorhof und einem vorgelagerten Torbau. Das markante, an der höchsten Stelle des Rodtberges erbaute und daher weithin sichtbare Ensemble ist aus einheitlichen Materialien (dunkelgrauer Lungstein, hellgrauer Sandstein, Schiefer) erbaut, die die Würde der Gebäude betonen. Die von romanischen und gotischen Formen bestimmten Bauten sind im Sinne einer beim Durchschreiten sich erschließenden Raumfolge auf einer Achse hintereinander aufgereiht: Der mit einem Walmdach und Blendbogengliederung versehene Torbau hat einen Mittelrisalit mit gotizierendem Staffelgiebel und dreifenstrigem Erker über der rundbogigen Durchfahrt. Ähnlich wie die seitlich sich anschließenden Außenmauern der Hofanlage (hier symmetrisch geordnete Rundbogenportale), ist er durch Bogenfriese und Lisenen gegliedert. Der sich anschließende düster und feierlich erscheinende Hof wird durch erhöhte Säulengänge mit Familiengrüften (u. a. Familie Poppe, Heyligenstaedt, Franz Riegel) gerahmt. Gedrungene Säulen mit Basen, glatten Schäften und reliefierten Würfelkapitellen stützen die Arkaden. Am Ende des Hofes steht die mit einem Satteldach und einem Dachreiter ausgestattete Kapelle. Sie ist mit ihrer Schmalseite und dem steil proportionierten Giebel (Treppenmotive) zum Hof orientiert. Wegen der im Innern installierten Versenkungseinrichtung für die Särge hat sie zwei Geschosse. Dies spiegelt sich auch am Außenbau wider: So ist das hochgelegene Hauptportal über eine zweiarmige Außentreppe zu erreichen, ein zweites Portal zu ebener Erde führt zur Leichenhalle. Die beiden Portale und ein zentrales Rundfenster liegen in der Mittelachse des Gebäudes übereinander. Das spitzbogige Hauptportal ist dabei durch seine tabernakelartige Rahmung, das reliefierte Tympanon (Lebensbaummotiv mit Inschrift: Friede sei mit Euch) und die flankierenden Rundbogenfenster in der Bedeutung hervorgehoben.

Hinter und besonders östlich der Kapelle schließen sich die ältesten Gräberfelder an. Großzügige, z.T. künstlerisch gestaltete Familiengräber finden sich vor allem entlang der Außenmauer. Als Beispiele seien genannt: die Gräber der Zigarrenfabrikanten Klingspor und Nattmann, das Grabmal der Familie G. Schneider und das der Familie Dr. Klein.

Die jüdische Friedhofshalle, die etwas separiert im östlichen Teil des Friedhofes liegt, ist ähnlich aufwendig gestaltet wie das Kapellenensemble. Auf T-förmigern Grundriss errichtet, zeigt sie romanische Formen, die Materialien sind dunkelgrauer Lungstein, roter Sandstein und Schiefer. Der mit einem Satteldach ausgestattete Hauptbau ist durch einen halbhohen Zwischenbau an der Rückseite mit einem niedrigeren Querhaus (Walmdach mit Dachreiter) verbunden. Auf der Frontseite ist eine separate, schmale Eingangshalle vorgelagert. Wichtige Gestaltungsmerkmale sind das rundbogige Hauptportal, mit seinem durch Blendbögen verzierten Giebel, das gekoppelte Drillingsfenster an der Stirnseite und die Zwillingsfenster der Langseite. Das an Detailformen (korinthisierende Säulchen, Gesetzestafeln als oberer Abschluss des Giebels, Originaltür mit filigranem Beschlagwerk, bleiverglaste Fenster) reiche Gebäude ist mittels eines geraden Weges, der genau auf das Portal zuläuft, mit dem übrigen Wegenetz und den Gräberfeldern der jüdischen Abteilung verbunden.

Carl Bischof, der sich zur Zeit um die Bestandsaufnahme der jüdischen Friedhöfe in Hessen bemüht, beschreibt das jüdische Gräberfeld folgendermaßen: „Um die Jüdische Friedhofshalle liegen einige, durch Wege getrennte Gräberfelder des Neuen Jüdischen Friedhofs, darunter eines der orthodoxen Israelitischen Religionsgesellschaft. Der 1907 eröffnete und eingeweihte Friedhof umfasst 3719 qm und ist im Besitz der Jüdischen Gemeinde zu Gießen. Die 308 noch vorhandenen Grabsteine, die in dichten Gruppen auf 6 Teilflächen stehen, geben ein Bild der ehemals großen Jüdischen Gemeinde in Gießen. Besonders auf den entlang der Außenmauer stehenden, repräsentativ ausgestatteten Familiengrabstätten finden sich die Namen bekannter und verdienter Persönlichkeiten (z.B. Heichelheim, Herz und Dreyfuss). Eine eindeutige Abgrenzung zum christlichen Friedhof ist - wie es die Halacha vorschreibt - nicht vorhanden. Auch die Besonderheiten der Ornamentik und der Jüdischen Symbolik sind wenig ausgeprägt, was mit der am Anfang des Jahrhunderts weit fortgeschrittenen Assimilierung zu tun haben mag. Als bemerkenswerte Gräber seien genannt: Grab des Leviten Markus Kann (1853-1918). Grab des Gründers der Gießener Schaumesse Isaak Walldorf (18571920). Grab von Prof. Dr. Ernst Friedberger (1875-1936). Grab des in den Argonnen gefallenen Soldaten Semmy Rothenberger (1883-1914). Grab des Schammes Moritz Mainz (gest. 1917).. Grab des Dr. med. Hugo Mayer (18871917), der als Oberarzt im 1. Weltkrieg den Heldentod fand und dessen Name eng mit der Dr. Hugo Mayer-Stiftung verbunden ist."

Zum schützenswerten Bestand des Friedhofes gehören die Friedhofskapelle, die jüdische Friedhofshalle, die genannten, älteren Gräberfelder einschließlich des historischen Wegenetzes, der alte, auch ökologisch bedeutsame Baumbestand und die Außenmauern. Der Friedhof ist wegen seiner künstlerischen, geschichtlichen und städtebaulichen Bedeutung als Sachgesamtheit Kulturdenkmal.


Als Kulturdenkmal nach § 2 Absatz 1 Hessisches Denkmalschutzgesetz aus geschichtlichen, künstlerischen und städtebaulichen Gründen in das Denkmalverzeichnis des Landes Hessen eingetragen.

Legende:

Kulturdenkmal nach § 2 Abs. 1 HDSchG
Kulturdenkmal (Gesamtanlage) nach § 2 Abs. 3 HDSchG
Kulturdenkmal (Grünfläche) nach §2 Abs. 1 oder § 2 Abs. 3 HDSchG
Kulturdenkmal (Wasserfläche) nach §2 Abs. 1 oder § 2 Abs. 3 HDSchG
Weitere Symbole für Kulturdenkmäler nach § 2 Abs. 1 HDSchG:
Wege-, Flur- und Friedhofskreuz, Grabstein
Jüdischer Friedhof
Kleindenkmal, Bildstock
Grenzstein
Keller bzw. unterirdisches Objekt
Baum
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